Hybride Wohlfahrt - Die Transformation der Arbeitsmarktregime in Polen und der Tschechischen Republik

Autor: Lena Sophia Thurau

Verlag: Dissertation, Eingereicht zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. phil.) am Fachbereich für Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin

Jahr: 2012

Sprache: Englisch

Die 1989 in Mittel- und Osteuropa ausgelöste Transformationsdynamik ist historisch einzigartig. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Zusammenspiel von Staat und Markt grundlegend erneuert. So stand auch der Umbau der Wohlfahrtsstaaten unter großem ökonomischem und politischem Druck. Insbesondere dem Arbeitsmarkt, zentrales Steuerungselement sozialistischer Staaten, musste ein völlig neues Gesicht verliehen werden.
Welcher Regimetypus kapitalistischer Wohlfahrt hat sich in 20 Jahren Transformation in diesen Ländern herausgebildet? Ausgangspunkt dieser Dissertation ist die Beobachtung, dass die Arbeitsmarktregime in Mittel- und Osteuropa trotz der vergleichbaren vorsozialistischen und sozialistischen Wohlfahrtsstaatserfahrung heute ausgeprägte Varianten aufweisen. Zwar haben fast alle Länder formal ähnliche Arbeitsmarktinstitutionen auf Basis ihrer historischen Erfahrung etabliert. Es bestehen jedoch deutliche Unterschiede in der Funktionsweise dieser Institutionen.
Der erste Teil der komparatistischen Policy-Analyse untersucht die Transformation der Arbeits-märkte am Beispiel Polens und der Tschechischen Republik. Der Wandel der formalen Institutionen gelang rasch und folgte dem Bismarck-Modell. Dagegen verliefen die Reformen der Arbeitsmarktregulierung und -politik in kleineren Schritten, geprägt durch eine Kombination aus historischer Tradition, sozialistischem Erbe und Trends der Vermarktlichung. Elemente des „alten“ und „neuen“ Bezugsrahmens blieben nebeneinander bestehen und führten zu einer Mischform. Ein erstes Ergebnis meiner Arbeit ist, dass diese neuartigen Arbeitsmarktregime als konsolidierte Hybride bezeichnet werden können. Dabei haben sich länderspezifische Varianten etabliert: Das tschechische Arbeitsmarktregime weist eine höhere Dekommodifizierung auf, also eine größere Unabhängigkeit des Individuums vom Markt. Dagegen ist der polnische Arbeitsmarkt stärker durch eine Vermarktlichung geprägt, die mit paternalistischen Elementen kombiniert wird.
Der zweite Teil der Arbeit untersucht, wie diese Varianz zu erklären ist. Die Hypothesen konzen-trieren sich auf institutionelle und akteurszentrierte Erklärungsvariablen sowie auf das Zusammenspiel innerstaatlicher und externer Faktoren. Beide Länder haben ein vergleichbares institutionelles Erbe sowie potentiell ähnliche externe Akteurseinflüsse, insbesondere durch das policy-engineering internationaler Finanzinstitutionen und den Beitritt zur Europäischen Union. Doch die Akteursdynamiken nach dem Systemwechsel unterscheiden sich stark: Instabilität und Konflikt in Polen stehen im Kontrast zu den über längere Zeit stabilen und kohärenten Akteurskonstellation in der Tschechischen Republik.
Die Ergebnisse dieser Dissertation zeigen, dass das institutionelle Erbe und der Einfluss internationaler Akteure nur bedingt die Varianten hybrider Wohlfahrt erklären. Viel wesentlicher ist die ungleiche Rekonfiguration der inländischen Akteure: Die frühe Oppositionsbewegung und Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Kräfte in Polen stehen im Zusammenhang mit größerer politischer Instabilität und Fragmentierung zugunsten marktorientierter Reformen. Demgegenüber erweisen sich die korporatistisch ausgerichteten tschechischen Akteure als signifikant für eine stärkere politische Kontinuität und soziale Inklusion. Die Ergebnisse der Arbeit erlauben die Schlussfolgerung, dass institutionelle Pfadabhängigkeit zwar bedeutend, der politische Prozess und Akteursverhalten aber entscheidend sind.

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