Autor: Kurt Vogler-Ludwig

Verlag: Studie im Auftrag des Referats für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München

Jahr: 2002

Sprache: Deutsch

München gehört nicht nur zur den Städten mit dem höchsten Ausländeranteil in Deutschland, sondern weist auch die niedrigsten Arbeitslosenraten und das mit Abstand höchste Durchschnittseinkommen seiner Bevölkerung auf. Dies zeigt, dass die Zusammenhänge zwischen Einwanderung, Beschäftigung und Wirtschaftsentwicklung nicht in einfache Erklärungsmuster passen, sondern eine differenzierte Analyse notwendig ist, um die Bedeutung der ausländischen Bevölkerung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu erkennen.

Makro-Wirkungen: Modellrechnungen für Deutschland und andere Volkswirtschaften zeigen, dass Einwanderung langfristig zu höherem Wirtschaftswachstum und höherer Beschäftigung führt. Arbeitslosigkeit und Lohnniveau werden nur wenig verändert, auch wenn es kurzfristig zu negativen Effekten kommen kann. Die Wachstum steigernden Effekte treten vor allem dann auf, wenn es gelingt die zugewanderten Arbeitskräfte reibungslos zu integrieren. Sie schaffen sich letztlich ihre eigenen Arbeitplätze und ihr eigenes Einkommen, wenn man ihnen dazu nur die Chance bietet. Der Wirtschaftsraum München ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

Polarisierung der Zuwanderung: Ende des Jahres 2000 lebten 282.000 ausländische Staatsangehörige in München. Ihr Anteil hat sich seit den sechziger Jahren auf 23 % verdreifacht. Darunter waren 115.500 überwiegend als Arbeitnehmer erwerbstätig. Mehr als die Hälfte der ausländischen Arbeitnehmer sind im Dienstleistungssektor beschäftigt, vor allem im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, im Reinigungsgewerbe und im Gesundheitswesen. Anders als in den "Gastarbeiter-Zeiten" brachte die Einwanderungswelle der neunziger Jahre im Rahmen des Familiennachzugs und der Asylsuche weniger Arbeitskräfte ins Land und in die Stadt. Gleichzeitig löste die Globalisierung der Unternehmen einen steigenden Bedarf an qualifizierten ausländischen Arbeitskräften aus. Das Qualifikationsspektrum der Einwanderung hat sich polarisiert. Es ist davon auszugehen, dass diese polarisierte Qualifikationsstruktur der Einwanderung auf die Engpass-Situation auf dem Münchener Arbeitsmarkt zugeschnitten war und daher positive Allokations- und Wachstumswirkungen ausgelöst hat.

Ausländer tragen Anpassungslasten: Am Beschäftigungswachstum Münchens in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre konnte die ausländische Bevölkerung nicht oder nur in Ausnahmefällen partizipieren. Während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Deutschen um 6,8 % zunahm, sank die der Ausländer um 9,8 %, insbesondere in den Industrie- und Bauberufen. Die ausländische Bevölkerung übernahm einen Teil der Anpassungslasten, der aus dem strukturellen Wandel des Arbeitsmarktes resultiert.

Ausgeglichene Wirkungen auf den Stadthaushalt: Ausländische Bürger kommen in den Genuss städtischer Dienstleistungen und Transfers, aber sie tragen auch zu den Steuereinnahmen der Stadt bei. Unter Berücksichtigung des Anteils der Stadt München an der Einkommen- und der Mehrwertsteuer leistete die ausländische Bevölkerung einen Beitrag von € 255 Mio. zu den Steuereinnahmen des Jahres 2000. Dies waren 13 % der gesamten Steuereinnahmen dieses Jahres. Auf der Ausgabenseite flossen schätzungsweise € 272 Mio. aus dem Stadthaushalt an die ausländische Bevölkerung. Damit blieb in diesem Jahr ein Saldo von € 17 Mio. zu Lasten der deutschen Bevölkerung. Berücksichtigt man die ökonomischen Vorteile der Ausländerbeschäftigung für den Wirtschaftsraum München kann der Betrag - soweit er angesichts der Unschärfen solcher Berechnungen in dieser Größenordnung entstanden ist - als gut investierte Summe gelten.

Ernsthafte Probleme in der Ausbildung: Grundsätzlich stellt die Zuwanderung ausgebildeter Arbeitskräfte für die Aufnahmeregion einen Vorteil dar, denn sie spart Ausbildungsinvestitionen, die das Herkunftsland finanziert hat. Allerdings werden in der zweiten und dritten Generation der früheren Zuwanderer die alten Qualifikationsstrukturen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt tradiert. Ausländische Jugendliche weisen nicht nur erhebliche Rückstände im Bildungsniveau auf, vielmehr zeigen Untersuchungen, dass die Bildungsabstände im Zeitverlauf zugenommen haben. Auch in der beruflichen Bildung sind ausländische Jugendliche unterrepräsentiert. Nur 14 % der Auszubildenden im Bereich der Industrie- und Handelskammer München sind Ausländer. Die geringe Bildungsbeteiligung der ausländischen Jugendlichen stellt - bei ihrem hohen Anteil an ihren Altersgruppen - langfristig eine Gefahr für die Versorgung mit Human-Kapital dar.

Perspektiven: Alle vorliegenden Prognosen rechnen mit einer anhaltenden Zuwanderung nach Deutschland in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Nach Aufhebung der geplanten Übergangsfristen für die Arbeitnehmer-Freizügigkeit (vermutlich im Jahr 2011) dürften die Einwanderer insbesondere aus den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern kommen. Für die Stadt München wird mit einer jährlichen Netto-Zuwanderung von 10.000 bis 15.000 Personen zu rechnen sein. Der Anteil der ausländischen Erwerbstätigen an der Gesamtbeschäftigung wird von 14,7 % auf 16 % ansteigen. Die zusätzlichen Arbeitskräfte werden insbesondere im Bereich privater Dienstleistungen, privater Organisationen und Haushalte sowie im Banken- und Versicherungssektor beschäftigt werden, während die Zahl ausländischer Arbeitskräfte im Verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe, im Handel und im Verkehrssektor weiter deutlich sinken wird.

Handlungsoptionen: Die Ausländerpolitik der kommenden zehn Jahre hat sich weniger auf die Probleme einer neuen Einwanderungswelle einzustellen. Vielmehr sind auf der einen Seite die Konsequenzen aus der Globalisierung der Wirtschaft zu beachten, und auf der anderen Seite die Fragen der Integration der ausländischen Bevölkerung, vor allem ihrer zweiten und dritten Generation. Mehr denn je steht die Politik vor der Anforderung, mehrdimensionale Konzepte zu entwickeln, die der Heterogenität der ausländischen Bevölkerung und ihrer unterschiedlichen Rolle für die Wirtschaft Münchens gerecht wird. Diese Konzepte sollten:

  • Mit Blick auf die Globalisierung das Profil Münchens als internationale Stadt schärfen.
  • Mit Blick auf die Unwägbarkeit internationaler Wanderungsströme die Möglichkeiten zur Steuerung der Zuwanderung ausschöpfen.
  • Mit Blick auf die drohende Fachkräftelücke die Ausbildung ausländsicher Jugendlicher fördern.


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